Viggo Mortensens zweiter Film als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent wird uns als Western verkauft. Ist das so korrekt?
 
How was your war?
 
Der Westen der USA vor dem amerikanischen Bürgerkrieg: der dänische Einwanderer Olsen lernt in San Francisco die unabhängige junge Frankokanadierin Vivienne kennen. Er nimmt sie mit in sein kleines Haus, irgendwo in der Weite des noch kaum zivilisierten amerikanischen Westens. Aber dann entscheidet sich Olsen, als Soldat für die Nordstatten zu kämpfen. Vivienne bleibt allein zurück. Es dauert lange, bis Olsen zu seiner Vivienne zurückkehrt ...
 
Ich warne alle Leser*innen davor, den Trailer zu „The Dead Don’t Hurt“ zu sehen und danach ins Kino zu gehen. Der Trailer zu diesem Film ist einer der dümmsten, die wir seit langer Zeit gesehen haben. Zum einen ist er einer dieser Trailer, die praktisch eine Reader’s-Digest-Version der Filmhandlung wiedergeben. 90% der Handlung werden im Schnelldurchlauf abgehandelt, inklusive Ausschnitte aller Schlüsselszenen.
 
Aber der Trailer versucht uns auch einen Film zu verkaufen, den Mortensen nicht gedreht hat und nie drehen wollte. Während der Trailer Spannung vermittelt, nimmt Mortensen diese Spannung an entscheidenden Stellen absichtlich aus seinem Film raus. Er nimmt als Autor und Regisseur immer wieder den Fuß vom Gaspedal, wo der Trailer so tut, als wäre es bis zum Bodenblech durchgetreten.
 
Viggo Mortensens Film ist vielleicht ein Western. Aber dieser Film ist auch ein überaus interessantes Drama über sehr moderne Menschen, das bloß in einem historischen  Setting spielt. Die Spannung und Action, die der Trailer vermittelt, gibt es so im Film nicht, kann es so gar nicht geben, weil Mortensen sie nicht zeigt. In diesem Film geht es nicht darum, was passiert. Es geht um die Konsequenzen dessen, was Menschen passiert ist. Es geht um, die Konsequenzen der Entscheidungen, die Menschen treffen.
 
Altmeister Francois Truffaut meinte einmal, es sein unmöglich, einen Anti-Kriegsfilm zu drehen, weil alle Kriegsfilme (auch die gegen den Krieg eingestellten), mit ihrer Energie und ihrem Gefühl des Abenteuers, den Kampf unterhaltsam wirken lassen. Und ich habe in meiner Rezension zu „War Sailor“ aufgezeigt, dass die wenigen Beispiele für echte Anti-Kriegsfilme (einige übrigens durchaus noch zu Truffauts Lebzeiten entstanden), genau deshalb funktionieren, weil sie kaum Kampfhandlungen zeigen.
 
Mortensen beschreibt die beste Entscheidung seines Films im Interview ganz lapidar ungefähr so: „Der Mann zieht in den Krieg. Der Film bleibt bei der Frau.“. Krieg und Kampf sind hier nicht unterhaltsam, nicht einmal wirklich interessant. Daher sind sie im Bild kaum zu sehen. Selbst die im Wilden Westen leider alltägliche Gewalt zeigt Mortensen nur selten und dann immer nur kurz. In einer der Schlüsselszenen des Films widerfährt einer der Figuren Furchtbares. Wir sehen ausgiebig die Entwicklung bis zu diesem Erlebnis. Aber im entscheidenden Moment erlischt die Flamme einer Lampe. Es wird dunkel. Und nach einem Schnitt sehen wir den Menschen, verletzt und fast zerstört vom Erlebten. Für den Rest des Films sehen wir die Konsequenzen, sehen wir den Umgang des Menschen mit dem Erlebten. Und die Spätfolgen des Erlebten.
 
Die Stärke von Mortensens Drehbuch liegt in der Unterschiedlichkeit des Umgangs seiner Charaktere mit Erlebtem. Beide Hauptfiguren sind bereits zu Beginn des Films Kriegs-Überlebende. Vivienne hat ihren Vater früh verloren. Und Olsen war bereits für sein Heimatland in den Krieg gezogen (das muss übrigens der Erste Schleswig-Holsteinische Krieg von 1848 – 1851 gewesen sein. Bitte, gern geschehen.). Der Mann und die Frau sind von Anfang an beide sehr starke, aber auch unterschiedliche Menschen. Im Verlauf des Films gehen sie mit der erneuten Erfahrung von Krieg und Gewalt beide wiederum unterschiedlich um.
 
Mortensen zeigt diese Geschichte von Konsequenzen und Folgen von Gewalt und den Umgang der Menschen damit in wunderschönen, schnörkellosen Bildern und zeigt sich als visuell sehr geschickter Filmemacher. Die Handlung wird nicht linear erzählt. Manchmal sehen wir nur einzelne Szenen, die früher oder später spielen. Trotzdem können wir diese sofort einordnen. Der Film wirkt zum größten Teil sehr homogen und hat einen wunderbaren Fluss.
 
This is it? (Spoiler)
 
Vielleicht hätte Mortensen mehr Vertrauen in seine Bilder haben sollen. Mehrmals im Film entscheidet er sich, uns etwas im Dialog erzählen zu lassen, statt es uns einfach zu zeigen. Und das ist jedes Mal die falsche Entscheidung. Wenn Olsen Vivienne auf ihr Geschick bei der Jagd anspricht und wir die Frau zuvor gar nicht bei der Jagd gesehen haben, wirkt das ungeschickt und passt so gar nicht zum größten Teil des Films.
 
Aber auch die Bilder fallen nicht immer gleichermaßen überzeugend und stimmig aus. Wenn ein Dorftrottel mit dem mächtigsten Mann der Stadt am Pokertisch sitzt, ergibt das keinen Sinn und man fragt sich, ob der Film nicht ausreichend Budget für weitere Darsteller hatte. Ein Soldat, der seinen Orden wegwirft, ist eines der abgeschmacktesten Bilder der Filmgeschichte. Und eine Figur immer wieder von einem Ritter in schimmernder Rüstung träumen zu lassen, nur damit diese Figur am Ende erkennt, dass der Ritter sie selbst war, verdient vielleicht nicht gleich den diesjährigen Darren-Aronofsky-Preis für subtile Filmkunst, eine lobende Erwähnung ist dem Film damit aber sicher.
 
(Ich habe übrigens eine dringende Bitte an alle Leser*innen, die sich „The Dead Don’t Hurt“ im Kino ansehen werden. Ich brauche nämlich Hilfe bei der Klärung der folgenden Frage: Bin ich bescheuert oder kam mir das Schwert des Ritters in diesem Film bekannt vor? Ich will nicht zu viel verraten, aber kann es sein, dass Viggo Mortensen Requisiten aus anderen Filmen behält um sie später wiederzuverwenden? Bitte um Widerspruch oder Bestätigung in den Kommentaren.)
 
Birds of a feather
 
Uneingeschränkt gelungen ist die Besetzung des Films. Viggo Mortensen war bereits ein interessanter Charakterdarsteller bevor er mit diesem Dreiteiler über Wanderungen durch Mittelerde und die schwierige Entsorgung alten Goldschmucks weltberühmt wurde. Sein Gesicht sieht mit fünfundsechzig Jahren mehr denn je aus, als wäre es für den Einsatz in Western geschnitzt worden. In den meisten seiner Szenen „spielt“ Mortensen kaum noch, er „wirkt“ vor allem.
 
Mortensen hat in seinem (sicher mit überschaubarem Budget gedrehten) Film viele dieser typischen, kompetenten, ewigen Nebendarsteller besetzt, deren Gesichter wir alle kennen, auch wenn uns die Namen nicht einfallen wollen. Garret Dillahunt war bereits in so vielen Filmen als Mistkerl zu sehen, dass er in „The Road“ sogar schon mal ein Mistkerl in einem Film mit Viggo Mortensen war.
 
Danny Huston („Angel has Fallen“) ist in seiner Paraderolle als skrupelloser Strippenzieher zu sehen. Ray McKinnon zeigt sein ganz besonderes Profil, wie auch bereits in Filmen wie „Le Mans 66 – Gegen jede Chance“, wieder in einer dieser kleinen aber wichtigen Nebenrollen, die er so oft zu spielen hat.
 
Die große Überraschung des Films ist der junge, noch recht unbekannte Solly McLeod. Viggo Mortensen hat die Rolle eines verwöhnten, korrumpierten Drecksacks hart an die Grenze zwischen Archetyp und Klischee geschrieben. McLeod macht das Beste daraus und spielt in seinen wenigen Szenen die erfahrenen Schauspielkollegen an die Wand.
 
Wenn der Trailer so tut, als wäre Mortensens Olsen die Hauptfigur des Films, ist das nicht der einzige irreführender Fehler des Trailers. Vivienne ist die Hauptfigur des Films. Und Vicky Krieps ist der Star von „The Dead Don’t Hurt“. Und das absolut zu recht.
 
Vicky Krieps hatte ihren internationalen Durchbruch in „Der seidene Faden“, als sie sich von der schüchternen Nebenfigur neben Daniel Day-Lewis zum Mittelpunkt des Films mausern konnte. Sie war fantastisch in „Corsage“, als sie mit ihrer Darstellung jede Konvention und Erwartung durchkreuzte. Zuletzt war sie eine grandiose Fehlbesetzung in „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“. Wenn man sich Krieps Arbeit in diesen Filmen und auch in ihrem aktuellen Film genau ansieht, könnte man teilweise eine gewisse Entwicklung ihrer Arbeitsweise vom „Spielen“  zum „Aufspielen“ feststellen. In „The Dead Don’t Hurt“ bildet dieses leichte „Aufspielen“ einen großartigen Gegenpol zum verhaltenen Spiel ihres Filmpartners und ist noch nicht zu viel. Noch nicht.
 
Fazit
 
Ein interessantes, stilles Drama im Setting des Wilden Westens. Einzelne Fehler des Drehbuchs und der Regie werden von der großartigen Besetzung überspielt.
 
Autor: Walter Hummer