Covid-Nachlese und Zustandsbeschreibung der US-Gegenwart bringt Ari Aster in seiner neuen Regiearbeit auf betont absurde Weise zusammen.
Joaquin Phoenix als Maskenverweigerer
Obwohl Ari Aster noch nicht einmal eine Handvoll abendfüllender Werke gedreht hat, gilt er bereits als einer der aufregendsten US-Autorenfilmer der Gegenwart. Einen Namen machte er sich gleich mit seinem Debüt „Hereditary - Das Vermächtnis“, einem hocheffektiven Okkultschocker, in dem Toni Collette als Mitglied einer zutiefst zerrissenen Familie brilliert. Dem Folkhorror à la „The Wicker Man“ huldigte er ähnlich eindringlich und ästhetisch ideenreich im Sektenthriller „Midsommar“, der, unüblich für einen Gruselstreifen, fast ausschließlich bei gleißendem Sonnenlicht spielt. Etwas gemischter als bei diesen beiden Filmen waren die Reaktionen auf seinen dritten Kinobeitrag „Beau Is Afraid“, in dem Oscar-Preisträger Joaquin Phoenix (ausgezeichnet für seine Performance in „Joker“) ein von Neurosen zerfressenes Muttersöhnchen auf einem ebenso bizarren wie überbordenden Seelentrip gibt.
Dass Asters kreative Quelle nicht versiegt, er keine Scheu hat, Konventionen zu sprengen und Sehgewohnheiten zu unterlaufen, zeigt auch sein neuer Wurf „Eddington“, der im Frühjahr 2025 in Cannes seine Weltpremiere feierte. Wie schon bei „Beau Is Afraid“ gehen aber längst nicht alle Elemente überzeugend zusammen – weshalb das Publikum einmal mehr gespalten sein dürfte. Auch und vor allem, weil sich der Regisseur und Drehbuchautor in diesem Fall ganz konkret an der Corona-Zeit und der von so vielen Problemen durchzogenen US-amerikanischen Gegenwart abarbeitet.
Das ursprüngliche Skript zu „Eddington“ war als zeitgenössischer Western angelegt und sollte eigentlich Asters Debüt markieren. Wie wir wissen, kam es anders. Sieben Jahre später findet der nun an die Covid-Pandemie angepasste Stoff aber doch noch seinen Weg auf die große Leinwand. Auch hier steht „Beau Is Afraid“-Hauptdarsteller Joaquin Phoenix im Mittelpunkt, verkörpert den Sheriff Joe Cross, der im Frühling 2020 in der titelgebenden Kleinstadt im Bundesstaat New Mexico mit der Corona-Politik der Regierung hadert. Maske tragen ist nicht sein Ding. Vielmehr hält er die persönliche Freiheit hoch, wie er bei einer hitzigen Diskussion im Supermarkt mit dem im Wahlkampf steckenden Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal) deutlich macht.
Schlachtfeld: US-Provinz
Aus Wut über dessen Prinzipientreue und den Eingriff des Staates in das Leben der Menschen dreht Joe ein Video und kündigt darin seine Bewerbung um das höchste Amt im Orte an. Gesagt, getan. Nur wenig später rollt der Sheriff, unterstützt von seinen Polizeikollegen (Luke Grimes und Micheal Ward), mit populistischen Parolen durch die Straßen von Eddington. Das Rennen um den Bürgermeisterposten spitzt sich langsam zu – und mündet in einer irrwitzigen Gewaltspirale.
Erzählerisch zerfällt die schwarzhumorige Noir-Komödie in zwei Teile. Zunächst mäandert das Geschehen mal hierhin und mal dorthin, vermittelt uns ein Gefühl für die leicht gereizte Stimmung in Eddington. Als es dann zu ersten Eskalationen kommt, überschlagen sich plötzlich die Ereignisse, legt der Film eine andere Dringlichkeit und ein anderes Tempo an den Tag. Ein Wandel, der sich auch in der Musikuntermalung niederschlägt. Klingt der Score anfangs noch verspielt-ironisch, kippt er zum Ende hin immer mehr ins Bedrohliche.
Thematisch ist „Eddington“ prall gefüllt. Angefangen bei der Maskendiskussion über die Black-Lives-Matter-Bewegung und die mit der Corona-Zeit noch wilder ins Kraut schießenden Verschwörungsmythen bis hin zur heute leider omnipräsenten Dauererregung – so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann, packt Aster in seine zunehmend absurder werdende Geschichte hinein. Zwangsläufig wirkt das Ganze heillos überfrachtet. Andererseits gelingen dem Regisseur aber auch gute Beobachtungen, stellt er einige Dinge herrlich pointiert heraus. Etwa die auf allen politischen Seiten zu findende Heuchelei. In „Eddington“ wird definitiv niemand verschont. Was Aster ebenfalls illustriert: Viele Konflikte werden durch persönliche Kränkungen befeuert. Ein Muster, das nicht zuletzt auf Donald Trump, den aktuellen US-Präsidenten, vollauf zutrifft.
Warum „Eddington“ dennoch einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt, zeigt sich am besten im Vergleich mit dem in mehrfacher Hinsicht ähnlichen Krimidrama-Comedy-Mix „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“. Während Martin McDonagh darin einen lebhaften, kleinstädtischen Kosmos mit vielen spannenden, ambivalenten Charakteren erschafft, setzt Aster jenseits von Joe Cross keine besonders reizvollen Akzente.
Viele der in der Handlung auftauchenden Personen sind nicht mehr als Schachfiguren, die er nach Belieben hin- und herschiebt. Verschwörungsanhängerin Dawn (Deirdre O'Connell), die Schwiegermutter des Sheriffs, mag ein skurriler Farbtupfer sein. Ihre Tochter Louise, die immerhin mit Hollywood-Größe Emma Stone besetzt ist, bleibt hingegen als labile Gattin Joes völlig blass. Wenig erinnerungswürdig ist auch der Auftritt eines von Shooting-Star Austin Butler gespielten Untergangspredigers und Sektenführers.
Selbst Pedro Pascals Bürgermeister wirkt meistens nur wie ein Stichwortgeber für den langsam durchdrehenden Gesetzeshüter Cross. Vielleicht sollte Aster beim nächsten Mal ein paar Ideen weniger in den Topf werfen und dafür wieder etwas mehr Augenmerk auf die Charakterzeichnung legen. In „Hereditary - Das Vermächtnis“ und „Midsommar“ ist er damit ganz gut gefahren.
Fazit
Der filmische Rundumschlag zum Zustand der USA ist manchmal schmerzhaft hellsichtig, manchmal spannend, gleichzeitig aber auch arg vollgestopft und stellenweise zu platt.
Autor: Christopher Diekhaus

